Mitte Februar gingen mehrere zehntausend Menschen in Deutschland auf die Straße. Sie protestierten gegen ACTA, ein internationales Handelsabkommen gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen im Internet. Die Demonstranten befürchten, dass das Abkommen zu Online-Zensur führt und fordern stattdessen eine grundlegende Reform des Urheberrechts. Die Regierungskoalition zeigte sich überrascht vom „Aufstand der Generation Internet“ (FAZ) und setzte die Ratifizierung des Abkommens vorerst aus.
Allmählich begreifen die „etablierten“ Parteien, dass Netzpolitik nicht länger ein Nischenthema ist, sondern Konjunktur hat. Seit einigen Monaten verfügen die Digital Natives sogar über eine eigene parlamentarische Stimme: die Piratenpartei. Ihr gelang Ende vergangenen Jahres mit erstaunlichen 8,9 Prozent überraschend der Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus. Seitdem befindet sich die Partei weiter im Aufwind. Für die kommenden Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig Holstein werden ihr zwischen fünf und sieben Prozent der Wählerstimmen vorhergesagt, im Bund sind es sogar bis zu neun Prozent.
Dass die Piraten Stimmen aus allen politischen Lagern erhalten, dürfte auch an der Unbestimmtheit ihrer politischen Ausrichtung liegen. Noch ist in den Augen vieler Beobachter unklar, ob sie in die Fußstapfen der FDP oder der Grünen treten. Der Vorsitzende der Partei, Sebastian Nerz, weicht einer klaren Positionierung aus: Er halte nichts von dem „Schubladendenken“ politischer Kategorien.
Auf diese Weise wollen die Piraten um jeden Preis den Eindruck vermeiden, sie seien eine Partei wie jede andere. Stattdessen verstehen sie sich als politische Systemadministratoren, die das Ziel verfolgen, „das Betriebssystem ihrer Staaten auszutauschen, mindestens aber es herunterzufahren, gründlich zu reparieren und neu zu starten.“ Das neue Betriebssystem soll sich durch basisdemokratische Entscheidungsstrukturen, transparente Verfahren und größtmögliche Freiheit auszeichnen.
Ihr Erfolg zwingt die Piratenpartei jedoch, sich über diese prozeduralen Fragen und die Netzpolitik hinaus auch zu anderen politischen Themen zu äußern. Im Zuge der programmatischen Debatten kommen die Piraten dabei nicht umhin, auch ihre Kernforderungen – Basisdemokratie, Transparenz und Freiheit – zu hinterfragen. Die Folge dieser Entwicklung ist absehbar: Die Piratenpartei ist auf dem besten Weg, ihre Alleinstellungsmerkmale zu verlieren und eine ganz normale Partei zu werden.
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